Ein Jäger mit inguinaler Bubone -Tularämie nach Zeckenstich

K. Zedtwitz-Liebenstein, B. Parschalk, E. Presterl, W. Graninger
Universitätsklinik für Innere Medizin I, Abteilung für Infektionen und Chemotherapie, AKH Wien
(Vorstand: Univ.-Prof. DDr. W. Graninger)

Einleitung
Kasuistik
Diagnose
Histologie
Immunität
Klinischer Verlauf
Differentialdiagnose
Therapie
Prävention
Literatur


Einleitung

1912 beschrieben McCoy und Chapin einen Mikroorganismus bei Nagern, den sie als Bacterium tularense, nach dem Ort, in dem sich ihr Labor befand (Tulare County, Kalifornien), bezeichneten. Edward Francis entdeckte zwischen 1919 und 1925 den Zusammenhang zwischen einer pestartigen Erkrankung bei Nagern und einer beim Menschen vorkommenden Erkrankung, dem "Deer-fly-Fieber". Aufgrund seiner hervorragenden Arbeit erhielt er 1959 den Nobelpreis, und ihm zu Ehren wurde der Erreger als Francisella tularensis umbenannt.

Der Erreger der Tularämie, Francisella tularensis, wird vorläufig in die Gruppe der Brucellaceae eingeordnet. Es ist ein aerob wachsendes, Gram negatives, unbewegliches, sporenloses kokkoides Stäbchen, welches fakultativ intrazellulär vorkommt.

 

Kasuistik

Ein 42jähriger Werbefachmann wurde im Rahmen einer Rotwildjagd von einer Zecke in den rechten Oberschenkel gestochen. Im Bereich der Einstichstelle entstand nach 5 Tagen eine Rötung mit einer regionalen Lymphknotenschwellung. Unter der Annahme eines Erysipels erhielt der Patient eine Therapie mit Penicillin V. Unter dieser Therapie entwickelte sich undulierendes Fieber bis 38,5°C und eine enorme Größenzunahme der Lymphknoten im Bereich der rechten Leiste. Zur weiteren Abklärung wurde der Patient stationär aufgenommen. Laborchemisch fanden sich eine erhöhte Blutsenkung mit 32/75 mm/h, eine Leukozytenzahl von 6 G/l mit einer Vermehrung der Lymphozyten (48%) und der Monozyten (11%). Die Leber, Nieren und Entzündungsparameter waren unauffällig. Letztendlich fand sich aber ein erhöhter Antikörper-Titer gegen Francisella tularensis (1 : 2048). Initial wurde mit einer Therapie mit Doxycyclin begonnen. Da darunter die inguinale Bubone weiter an Größe zunahmen, erhielt der Patient zusätzlich Streptomycin systemisch für 14 Tage und 1 x 0,4 g lokal in den taubeneigroßen Lymphknoten für 3 Tage appliziert. Erst jetzt zeigte sich ein deutlicher Erfolg mit kontiunierlicher Reduktion der Lymphknotenvergrößerung und Einschmelzung der Lymphknotenpakete.

Erreger Vorkommen Überträger
F. tularensis tularensis
(Jellison Typ A)
Nordamerika 50% durch Stechmücken,
Zecken, Hasen
F. tularensis palaearctica
(Jellison Typ B)
Europa, Asien, Japan,
Nordamerika
Nagetiere, Stechmücken,
Zecken, Haustiere
F. tularensis mediasiatica Zentralasien (Sowetunion)  
F. tularensis palaearctica japonica Japan  

Eine Titerkontrolle zeigte einen Anstieg auf 1 : 4096. Unter Fortsetzung der Therapie mit Doxycyclin 1 x 300 mg/Tag kam es innerhalb von 3 Monaten zur vollständigen Rückbildung der Lymphknoten.

Dieser Fall zeigt, daß Zecken nicht nur Überträger der FSME, der Ehrlichiose und der Borreliose, sondern auch der Tularämie sein können.

Die Diagnose wird oftmals erst histologisch gestellt und eine serologische Untersuchung erst nachträglich durchgeführt. Aus diesem Grund sollte man bei allen Lymphknotenvergrößerungen auch an die Tularämie denken.

In den USA gibt es ca. 300 Erkrankungen / Jahr mit einer Inzidenzrate von 0,6 -1,3/106.

Die Tularämie ist eine bei Nagern tödlich verlaufende Zoonose. Die Übertragung erfolgt durch Kontakt mit infizierten Tieren (Nagetiere, Vögel, Amphibien, Haustiere [Schafen, Rindern, Katzen - sehr selten]). Die Erreger können über die Haut oder Schleimhaut nach direktem Kontakt mit Blut, Organen, Ausscheidungen kranker Tiere aufgenommen werden. F. tularensis ist sehr invasiv und ist daher in der Lage, auch die intakte Haut zu durchdringen. Üblicherweise geschieht dies aber nach einer Hautverletzung durch einen Biß, während des Abhäutens von Kadavern, Inhalation von Aerosolen, durch kontaminiertes Wasser und Schlamm, nach Genuß infizierter Tiere, aber auch durch Zecken und Stechmücken. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch gibt es nicht. Bei Inhalation oder intrakutaner Applikation (z.B. Zeckenstich) genügen 10-50 Erreger zur Auslösung einer Erkrankung, oral aufgenommen sind mindestens 108 Erreger notwendig.

 

Diagnose

Francisella tularensis kann im Tierversuch in Blut, Lymphknotenpunktat, Gewebestücken, Bindehautgeschabsel, Sputum und Pleurapunktat nachgewiesen werden. Die Anzüchtung des Erregers erfolgt in Spezialmedien (z.B. Glucose Cystein-Agar, angereichert mit Menschenblut und Thiamin, oder Schokoladen-Agar angereichert mit Cystein. Das Wachstumsoptimum liegt bei 37°C unter erhöhter CO2-Spannung. Auf herkömmlichen Nährmedien wie auf einem MacConkey Agar wachsen sie nur schlecht).

Wegen der schwierigen Anzüchtung und der damit verbundenen hohen Wahrscheinlichkeit eines falsch negativen Befundes spielt die Serologie bei der Diagnose eine wichtige Rolle. Antikörper lassen sich ab der 2. Woche im Blut nachweisen und erreichen in der 4. -5. Krankheitswoche ihren Höhepunkt. Als Grenzwert gilt bei Ungeimpften ein Titer von 1 :20 bis 1 :40.
Bei einem Antikörpertiter von >1:40 muß man an eine Tularämie denken, jedoch kommen Kreuzreaktionen mit Brucellen, Proteus OX19 und Yersinien vor. Beweisend ist jedenfalls ein Titeranstieg um 2 Stufen in 2 Wochen.

 

Histologie

Im lymphatischen Gewebe finden sich fibröse und granulomatöse Herde, die Riesenzellen und Nekrosen enthalten. Eventuell können in diesen Läsionen die Erreger intrazellulär nachgewiesen werden. Histologisch besteht eine Ähnlichkeit zur Tuberkulose.

 

Immunität

Die Abwehr erfolgt über T-Zellen, die ähnlich wie bei Listeria- und Brucella-Infektionen eine Granulombildung und Makrophagenaktivierung verursachen. Die Rolle der Antikörper scheint bei der Abwehr eine untergeordnete Stellung zu haben. Zweitinfektionen sind nicht bekannt.

F. tularensis ist ein fakultativ intrazellulärer Erreger, der die zelluläre Immunität umgeht und die Bildung histiozytärer, verkäsender Granulome mit erheblicher Organdestruktion hervorruft. Als fakultativ intrazellulärer Erreger wächst F. tularensis in Makrophagen, Hepatozyten und Endothelzellen.

Form Häufigkeit Klinische Manifestation
Ulceroglandulär 70-85% Typisch ist eine ulzerierende Hautläsion (Primäraffekt) für gewöhnlich durch einen Biß oder Stich verursacht, mit einer Lymphadenopathie (Primärkomplex) sowie Allgemeinsymptomen wie Kopfschmerzen, Fieber, Schüttelfrost, Schweißausbrüchen und Husten.
Glandulär 2-12% Charakterisiert durch Lymphadenopathie, Fieber, jedoch ohne Hautläsionen.
Typhoid 7-14% Beginn mit Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerzen, Erbrechen, Diarrhoe, ohne Hautläsion und Lymphadenopathie. Bei dieser Form können Blut und Sputumkulturen positiv sein. Die Letalität beträgt 1-2%.
Okuloglandulär 1-2% Die Infektion erfolgt über die Konjuktiven, mit Schwellung der Augenlider und Vergrößerung der regionalen Lymphknoten.
Oropharyngeal 2-4% Die Primärläsion ist im Oropharynx. Die Patienten haben zusätzlich Kopfschmerzen, eine bilaterale Tonsillitis oder eine exsudative Pharyngitis ähnlich einer Streptokokken-Pharyngitis, Diphtherie oder Angina Plaut Vincenti mit Schwellungen der submandibulären Lymphknoten.
Pneumonie 8-13% Komplikation im Rahmen einer Bakteriämie oder durch Inhalation eines Aerosols. Mit Fieber, Kopfschmerzen, Krankheitsgefiihl und unproduktivem Husten, mit oder ohne radiologische Zeichen der Pneumonie. Sie kommt vor allem beim Arbeiten mit Heu, das mit Nagetierkot kontaminiert ist, vor. In der Folge finden sich typische oder atypische pulmonale Infiltrationen, mit Hiluslymphknotenvergrößerungen oder eine exsudative Pleuritis.
Meningeale   Meningitis wurde in 7 Fallberichten zw. 1931 und 1986 beschrieben.

Francisellen können in den Makrophagen überleben, da es zu keiner Fusion des Phagosoms mit dem Lysosom kommt. Interferon y und TNF-a aktivieren die Makrophagen, um F. tularensis durch Produktion von NO und anderer Stickstoffprodukten zu töten.

 

Klinischer Verlauf

Die Inkubationszeit beträgt üblicherweise 3-5 Tage. Die Erkrankung beginnt akut mit Schüttelfrost, Fieber und Gliederschmerzen. Nach dem Stich bzw. Biß entwickelt sich an der Eintrittstelle eine Papel, die ulzerieren kann.

In schweren Fällen kann es im Rahmen einer Bakterieämie zur Beteiligung der Lungen, und selten der Meningen und des Gehirns, kommen.

 

Differentialdiagnose

 

Differentialdiagnose der ulzeroglandulären
und glandulären Thlarämie
Bakterielle Infektion
Syphilis
Sporotrichose
Milzbrand
Herpes simplex Infektion
Tuberkulose
Yersiniose
Pest
Typhus
Fleckfieber
Mononukleose
Katzenkratzkrankheit
Toxoplasmose
Brucellose

 

Differentialdiagnose
der pneumonischen Tularämie
Mycoplasma pneumoniae
Legionella pneumoniae
Chlamydia pneumoniae
Chlamydia psittaci
Coxiella burnetii
Mycobacterium tuberculosis
Pilze

 

Therapie

Streptomycin ist das Mittel der Wahl, es ist gut wirksam, jedoch kommt es rasch zur Entwicklung von Resistenzen. Aus diesem Grund ist eine Kombinationstherapie von Streptomycin 15 mg/kg/Tag und Doxycyclin 4 mg/kg/Tag sinnvoll. Bei Aminoglykosiden ist die Blutspiegelkontrolle notwendig. Wenn Streptomycinspiegel nicht verfügbar sind, kann stattdessen Gentamicin oder Amikacin verwendet werden. Bei einer Monotherapie mit Tetracyclinen ist ein Rezidiv sehr häufig. Die lokale Applikation von Aminoglykosiden in den Lymphknoten führt zu einer schnelleren Lymphknoteneinschmelzung.

 

Prävention

Eine Schutzimpfung mit attenuierter Lebendvakzine wird aufgrund mangelnden Erfolges nicht verwendet.

 

Literatur:
1. Spach D.H., Liles W.C., Campbell G.L. et al.: "Tick-Borne Diseases in the United States." New England Journal of Medicine Vol. 329, Nr. 13, Sept. 23 (1993) 936-947.

2. Byrd R.P., Vasquez J., Roy T.M.: "Respiratory Manifestations of Tick- Borne Diseases in the Southeastern United States." Southern Medical Journal Vol. 90, Nr. 1, January (1997) 1-4.

3. Beyanger L., Maeland J.A., Naess A.I.: "Agglutinins and antibodies to Francisella tularensis outer membrane antigens in the early diagnosis of disease during an outbreak of tularemia." J. Clin. Microbiol. 26 (1988) 433-437.

4. Schmid G.P., Kornblatt A.N., Connors C.A. et al.: "Clinically mild tularemia associated with tick-borne Francisella tularensis." J. Infect. Dis. 148 (1983) 63-67.

5. Bayce J.M.: "Francisella tularensis (Tularemia)." In: Mandeli G.L., Douglas R.G.Jr., Bennett J.E. eds.: "Principles and practice of Infections disease." 3rd ed. New York, Churchill Liyingstone (1990) 1742-6.

 

Anschrift des Verfassers:
Dr. Konstantin Zedtwitz-Liebenstein
Uniy.-Klinik für Innere Medizin I, Abteilung für Infektionen und Chemotherapie,
Allgemeines Krankenhaus der Stadt Wien
A-1090 Wien, Währinger Gürtel 18-20

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