Plastische Chirurgie und diabetischer Fuß

H. Piza-Katzer, E. Herczeg, Ch. Rainer
Univ.-Klinik für Chirurgie, Abt. für plastische Chirurgie und Wiederherstellungschirurgie, Innsbruck
(Vorstand: Univ.-Prof. Dr. H. Piza-Katzer)



Die plastische Chirurgie beschäftigt sich besonders intensiv mit der Heilung von Wunden. Aus diesem Grund wird sie auch häufig in das interdisziplinäre Behandlungskonzept des diabetischen Fußes eingebunden.

Zusammenfassung
Durch die sehr gute Kooperation aller bei der Therapie des diabetischen Fußes beteiligten Ärzte gelang es in den letzten zehn Jahren, die Anzahl der Majoramputationen oder der klassischen Vorfußamputationen beträchtlich zu senken. Dies wurde in der WHO-Deklaration von St. Vincente 1989 gefordert. Das Ziel ist, die Länge der unteren Extremität und damit die Gehfähigkeit zu erhalten.

Bei sämtlichen rekonstruktiven Verfahren besteht auch bei korrekter Durchführung die Gefahr einer Wundheilungsstörung und Nekrose des Lappens. Weitere Risken sind Hämatome, Infektion und Thrombose. Etwaige Funktionseinbußen an der Lappenentnahmestelle müssen individuell gegenüber dem Gewinn des Längenerhalts der erkrankten Extremität abgewogen werden.



Einleitung

Meist werden die Patienten dem plastischen Chirurgen vorgestellt, wenn am Fuß ein Ulkus durch konservative Maßnahmen nicht zur Abheilung gebracht werden kann.

Eine exakte lokale Befunderhebung präoperativ ist ebenso wie eine genaue Erhebung des Status Voraussetzung jeder plastisch-chirurgischen Maßnahme. Besondere Sorgfalt ist bei der Beurteilung von Lokalisation und Größe der Wunde, der Beteiligung der Knochen, des peripheren Gefäßstatus sowie des Ausmaßes der peripheren Neuropathie geboten.

 

Die Fußsohle als hydraulisches System

Bei der Planung der Defektdeckung am Fuß müssen die Besonderheiten der Fußsohle und des Knochengerüsts genau berücksichtigt werden. Die Fußsohlenhaut ist die einzige gewichttragende Körperoberfläche. Die Fußsohle fungiert durch ihren speziellen anatomischen Aufbau als hydraulisches System zur Pufferung von Druck- und Scherkräften. Adäquate Deckungsmöglichkeiten zum Defektverschluss müssen individuell ausgewählt werden. Um eine Therapieempfehlung abgeben zu können, ist das Vorliegen eines Nativröntgens unerlässlich. Dabei zeigt sich eine Knochendestruktion oft als Ulkusursache. Da aber im Nativröntgen eine Differenzialdiagnose zwischen Osteomyelitis/Osteolyse nicht möglich ist, empfiehlt sich in diesen Fällen als weiterführende Untersuchung die MRT.

Ein genauer Gefäßstatus zeigt, ob dem Ulkus eine arterielle Mangeldurchblutung zugrunde liegt und eventuell gefäßchirurgische Maßnahmen erforderlich sind.

Liegt keine Knochenveränderung und keine Minderdurchblutung vor, ist in seltenen Fällen nach einem sorgfältigen Debridement eine Spalthautdeckung des Defekts indiziert. Nach Abheilung wird eine Pedographie empfohlen, um die Belastungszonen des Fußes zu erfassen und dementsprechende Schuhversorgung zu veranlassen. Handelt es sich jedoch um ein neuropathisches Ulkus mit osteolytischen Veränderungen, ist nach einer sorgfältig durchgeführten Nekrosenentfernung, die nicht nur die Weichteile, sondern auch den befallenen Knochen betrifft, je nach Lokalisation eine stabile Defektdeckung nötig. Dies gelingt nie mit Spalthaut, sondern nur mehr mit gut durchblutetem Gewebe aus der nahen Umgebung oder durch mikrovaskulär angeschlossene Lappen. In seltenen Fällen findet sich als Ursache für das Ulkus eine Osteomyelitis. Dabei versuchen wir nach Entfernung der betroffenen Knochenanteile (entsprechend dem Antibiogramm – Abstrich!) durch lokale und gleichzeitig intravenöse Applikation von Antibiotika ein Fortschreiten der Infektion zu verhindern. Auch hier ist meist zusätzlich eine Defektdeckung erforderlich.

 

Charcot-Fuß

Synovialitische Veränderungen sowie Bursitiden können bei einem Diabetiker zu Destruktionen des Fußskelettes führen. Die Tarsalknochen können dadurch in ihrer Lage stark verändert werden. Es resultiert das Vollbild eines Charcot-Fußes. Die Symptome beinhalten einen heißen erythematösen geschwollenen Fuß, möglicherweise Schmerzen, gewöhnlich keine Hautläsionen und häufig keine radiologischen Veränderungen. Knochensporne, die von innen gegen die Weichteile drücken, können auch in diesen Fällen zur Ausbildung von Ulzerationen führen. Eine klare Unterscheidung zur Infektion ist wichtig, um eine Fehldiagnose und mögliche Amputation zu vermeiden. Durch eine rapide Progression mit Knochenfragmentation und Destruktion der Gelenke, die auf dem Röntgenbild ersichtlich und von periostalen Reaktionen begleitet ist, tritt häufig ein Kollaps des medialen Fußlängsgewölbes auf.

Abbildung 1
 
Abbildung 2

 

Plastisch-chirurgisches Vorgehen

Verschluss der Wunden mit Spalthaut

Liegt nur ein oberflächlicher Defekt an der Fußsohle oder einer Zehe vor und ist der Wundgrund sauber, kann man in seltenen Fällen mit dünner Spalthaut, entnommen vom kontralateralen Oberschenkel, einen Wundverschluss erzielen. Eine Bettruhe von wenigen Tagen mit Thromboseprophylaxe ist unerlässlich.

Am Fußrücken gelten in der Behandlung von offenen Wunden oder Entzündungen dieselben Prinzipien wie an der Fußsohle, mit dem entscheidenden Unterschied, dass hier keine Belastungszonen vorliegen. Freiliegende Sehnen mit Verlust des Peritendineums und andere freiliegende funktionelle Strukturen erfordern im Prinzip den Einsatz einer Lappenplastik. In Abhängigkeit vom Allgemeinzustand des Patienten empfiehlt sich jedoch häufig eine Resektion der freiliegenden Sehnen mit anschließender Spalthautdeckung des Wundbettes. Sollten Defekte mit Spalthaut verschlossen werden, muss allerdings auf ihre höhergradige Vulnerabilität durch Schuhwerk mittels Applikation eines Schaumstoffpolsters Rücksicht genommen werden.

Verschluss der Wunden mit Lappenplastiken

Ist nach dem Weichteil- und Knochendebridement diabetischer Ulzera die Defektdeckung mit Lappenplastiken möglich, so bieten sich im Wesentlichen drei Verfahrensweisen an, deren Anwendung Kenntnisse über die Durchblutung von Haut, Faszien und Muskeln voraussetzt. Zu unterscheiden sind in dieser Lokalisation Haut-, fasziokutane sowie Muskel- bzw. myokutane Lappenplastiken, die jeweils gestielt oder mikrovaskulär transplantiert werden können. Eine sensible Versorgung ist stets anzustreben, gegebenenfalls mit Hilfe eines neurovaskulären Gewebetransfers.

  • Die Hautlappen werden entsprechend ihrer Gefäßversorgung in zwei Typen eingeteilt – „random pattern“- (zufällige Gefäßversorgung) und „axial pattern“-Lappen (in der Längsachse verlaufende Gefäße).
  • Fasziokutane Lappen werden durch ein Gefäßsystem versorgt, das aus Perforansgefäßen besteht, die von den regionalen Arterien entlang der intermuskulären Fasziensepten zum tiefen Muskel-Faszienblatt verlaufen. Diese Lappenform ist wegen ihrer Gefäßversorgung sicherer als kutane Lappen und weist eine bessere mechanische Stabilität auf.
  • Die Muskellappen werden hauptsächlich in mechanisch geringer belasteten Arealen zur Defektdeckung freiliegender Knochen oder offenen Gelenken verwendet. Die Blutversorgung des Muskel- bzw. myokutanen Lappens erfolgt hauptsächlich über die Versorgung des darunterliegenden Muskels. Diese Lappenart weist einen hohen Wirkungsgrad bei der Vorbeugung und Behandlung von Infektionen, vor allem von Osteomyelitis im Empfängergebiet auf. Trotz dieses Vorteils muss der in Betracht kommende Muskel im Spendergebiet so gewählt werden, dass nur ein minimaler Funktionsverlust eintritt.

Im Bereich des proximalen Fußrückens und der Knöchelregion kommen zum Verschluss kleinerer Defekte mit freiliegenden funktionellen Strukturen Muskellappen vom Extensor digitorum, Abductor hallucis, Flexor hallucis brevis und des Abductor digiti minimi in Betracht.

Liegt ein Weichteildefekt mit freiliegenden Sehnen oder Knochen vor, kann je nach Lokalisation folgendes Vorgehen Anwendung finden:

An der Zehe …
Nach Entfernung des Ulkusgrundes werden unter Umschneidung des Zehennagels die Weichteile vom Knochen abpräpariert, wobei auf die Schonung der plantar seitlich gelegenen Gefäßnervenbündel zu achten ist. Sehnennekrosen müssen in jedem Fall entfernt werden. Dieser Haut-Weichteil-Mantel dient nach Enukleation der Zehe im MTP-Gelenk zum lockeren Weichteilverschluss über dem MT-Kopf. Wesentlich dabei ist, dass die meist minderdurchbluteten Weichteile nicht genäht, sondern mit Fettgaze oder einer Situationsnaht nur locker adaptiert werden sollen. Dies ist deshalb so wichtig, da es nach jeder Operation zu einer lokalen Ödementwicklung und dadurch zu einer relativen Minderdurchblutung an der Nahtstelle kommt. Ein lockerer Stahlwolle-, Watteverband und ein täglich sorgfältig durchzuführender Verbandwechsel sind Voraussetzung für eine Per-primam-Heilung dieser Wunden. Bei freiliegendem oder zerstörtem Kopf des MT (meist 1 oder 5) kann man die Weichteile der Zehe nach Filetierung der Zehenknochen zur Defektdeckung an der Fußsohle verwenden.

An der Fußsohle …
… ist nach sorgfältiger Nekrosektomie, die auch eine Entfernung eines osteolytischen Knochen betreffen kann, darauf zu achten, dass keine Sehnensequester zurückbleiben und dass auch avitale Plantaraponeurosenanteile exakt debridiert werden. Entlang von Sehnenscheiden oder in der Aponeurose können sich Entzündungen nach proximal ausbreiten bzw. Phlegmonen entstehen.

Bei Phlegmonen ist eine präoperativ zu beginnende Antibiotikatherapie wichtig. Nach der Nekrosektomie erfolgt eine offene Wundbehandlung. Eine Inzision und Gegeninzision am Fuß ohne breite Eröffnung des phlegmonösen Areals und Entfernung aller Nekrosen ist heutzutage nicht mehr zu verantworten. Eine einzeitige Behandlung mit Debridement und Defektdeckung ist nur bei nicht infizierten Wunden indiziert. Liegt hingegen eine schwere Wundinfektion vor, so erfolgt der Wundverschluss zweizeitig.

Nach Nekrosektomie kann die Wundheilung mit der VAC-Behandlung (luftdicht abgeschlossener Verband mit Saugdrainage) beschleunigt werden.

Lokale Lappenplastiken – Rotations- und Instep-Insellappen – bieten als Vorteile eine geringe Operationsbelastung, haben jedoch als Nachteile eine eingeschränkte Verfügbarkeit. Liegt bei Patienten mit diabetischen Ulzera gleichzeitig eine periphere Gefäßkrankheit vor, sind lokale Lappenplastiken ungeeignet.

Bei orthogradem Blutstrom durch den medialen und lateralen plantaren Ast der A. tibialis posterior können Wunden mit einem gestielten myokutanen Flexor-digitorum-brevis- oder mit einem an der A. plantaris medialis gestielten Instep-Insellappen rekonstruiert werden. Bei Fehlen dieses orthograden Blutflusses im Endstromgebiet der A. tibialis posterior sowie bei Nachweis einer kräftigen Unterschenkelarterie oder eines funktionierenden distalen Bypasses besteht die Indikation für eine mikrovaskuläre Lappenplastik. Dabei kommen vor allem der A.-radialis-, der laterale Oberarm- und der Skapulalappen zur Anwendung. Im Gegensatz zu den distalen Fußarealen sind an der Ferse zahlreiche regionale Lappenplastiken zur Deckung diabetischer Ulzera möglich. Mit Ausnahme des lateralen A.-calcanea-Lappens erfordern jedoch all diese lokalen Lappen einen orthograden Blutfluss durch die A. tibialis posterior und deren medialen bzw. lateralen plantaren Endast. Drei intrinsische Fußmuskeln werden zum Wundverschluss an der Ferse eingesetzt – der M. abductor hallucis für Defekte der Ferse am Innenknöchel, der M. abductor digiti minimi für lateral gelegene Ulzera oder der M. flexor digitorum brevis für den Fußsohlen-/Fersenbereich. Kleine Wunden im dorsalen Fersenbereich können sehr gut durch den lateralen A.-calcanea-Lappen gedeckt werden, zumal die A. fibularis als letzte atherosklerotische Veränderungen beim Diabetiker aufweist. Weiters eignet sich neben dem Instep-Lappen ein an der A. plantaris medialis gestielter fasziokutaner Lappen sowie der gestielte A.-dorsalis-pedis-Insellappen.

 

Anschrift der Verfasserin:
Univ.-Prof. Dr. Hildegunde Piza-Katzer
Univ.-Klinik für Chirurgie, Abt. für plastische Chirurgie und Wiederherstellungschirurgie
A-6020 Innsbruck, Anichstraße 35

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