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                  Das Syndrom der „verbrühten Haut“ 
                Synonym: 
                  Morbus Ritter v. Rittershain, Staphylococcal-scalded-skin- 
                  Syndrome (SSSS) 
                 
                  
                
                Das „Syndrom der verbrühten Haut“ ist eine 
                  durch hämatogene Streuung des von Staphylokokken gebildeten 
                  Exfoliatoxins verursachte Hauttoxikose bei Säuglingen und 
                  Kleinkindern, die durch großflächige, verbrennungsartige 
                  Erytheme mit Blasenbildung und anschließender Hautablösung 
                  charakterisiert ist. Das Krankheitsbild wird durch toxische, 
                  hämatogene Fernwirkung verursacht, einer in der Regel extrakutanen 
                  Infektion mit Staphylococcus aureus der Lysophagengruppe 
                  II. Die erythemato-bullöse Hauteffloreszenz ist unmittelbare 
                  Folge einer massiven Exfoliatin-Ausschüttung in die Blutbahn. 
                  Die Infektionsquelle war früher meist eine Nabelinfektion 
                  des Neugeborenen mit Staphylokokken. Es handelt sich um eine 
                  potenziell schwerwiegende Erkrankung, die in unbehandelten Fällen 
                  häufig zu lebensbedrohlichen Komplikationen wie hypovolämischer 
                  Schock, Pneumonie und Sepsis führen kann. Bei frühzeitiger 
                  und korrekter Behandlung sind schwere Krankheitsverläufe 
                  bei Kleinkindern jedoch die Ausnahme, und die Prognose für 
                  Kinder bis zum fünften Lebensjahr ist günstig (3%). 
                  Für ältere Patienten hingegen verläuft das SSS-Syndrom 
                  wegen der zugrunde liegenden Grunderkrankungen auch bei intensiv 
                  medizinischer Behandlung sehr häufig (40%) tödlich 
                  (Abbildung 11). 
                 
                  Die Staphylokokkentoxine Exfoliatin A (ETA), Exfoliatin B (ETB) 
                  und Exfoliatin D (ETD) wirken als Serinproteasen und führen 
                  aufgrund ihrer zielgerichteten molekularen Spezifität zu 
                  einer Aufspaltung des Haftproteins Desmoglein 1 innerhalb der 
                  Desmosomen. Die Zell-Zell-Kontakte des Stratum granulosum der 
                  Epidermis lösen sich auf, und es kommt zu einer nicht entzündlichen 
                  Auflockerung der Zellverbände mit Spaltbildung, die eine 
                  Ablösung der oberen verhornten Epidermisschichten bewirkt. 
                  In den generalisierten subkornealen Blasen sind daher in der 
                  Regel auch keine Erreger nachweisbar. 
                 
                  Der Krankheit können eitrige Staphylokokkeninfektionen 
                  des Nasen-Rachen-Raumes (Rhinitis, Tonsillitis), der Ohren (Otitis 
                  media) sowie der Augen (Konjunktivitis) um einige Tage vorausgehen. 
                  Vor dem eigentlichen Beginn der Erkrankung erscheint manchmal 
                  ein kleinfleckiges scharlachähnliches Exanthem, welches 
                  dann später in der Akutphase in die SSSS-typischen Hautläsionen 
                  übergeht. Typisch ist, dass sich die Blasen bei Druck auf 
                  die Haut und bei Scherkräften bilden (Nikolski-Phänomen). 
                 
                  Im Hinblick auf die Behandlung ist die Unterscheidung zwischen 
                  dem Staphylococcal-scalded-skin-syndrome, das früher 
                  auch staphylogenes Lyell-Syndrom genannt wurde, bis die genaue 
                  Pathogenese bekannt war, und der toxischen epidermalen Nekrolyse 
                  (medikamentös-induziertes Lyell-Syndrom), 
                  von großer differenzialdiagnostischer Bedeutung. Es handelt 
                  sich dabei um zwei unterschiedliche Erkrankungen, die erst seit 
                  20 Jahren klar unterschieden werden. Beweisend für das 
                  SSSS sind neben der Spaltbildung im Stratum granulosum der Nachweis 
                  der Exfoliatine im Blut anhand eines Enzyme-linked Immunosorbent 
                  Assay (ELISA), Western-Blot oder einer Polymerasekettenreaktion. 
                  Ein einfacher Nachweis gelingt dadurch, dass man in der Blasenflüssigkeit 
                  die Akanthozyten, die sich von der basalen Epithelzelllage ablösen, 
                  nachweisen kann (Tzank-Test). Dadurch ergibt sich auch die Differenzialdiagnose 
                  mit dem klinisch sehr ähnlich imponierenden Lyell-Syndrom, 
                  bei dem sich die basale Epithelzelllage von der Basalmembran 
                  ablöst. Dieses Krankheitsbild wird üblicherweise durch 
                  eine Überempfindlichkeitsreaktion auf Medikamente (Valproinsäure), 
                  selten sogar auf Antibiotika (Sulfonamide), ausgelöst. 
                  Diagnostische Sicherheit ergibt aber erst eine Blasendeckelhistologie. 
                  Die histologische Untersuchung zeigt beim SSSS eine akantholytische 
                  Spaltbildung im Bereich des Stratum granulosum und die Bildung 
                  von subkornealen Blasen. Eine bakterielle Untersuchung sollte 
                  veranlasst werden, um Infektionsquellen aufzudecken. Bei der 
                  toxischen epidermalen Nekrolyse ist außerdem der bevorzugte 
                  Befall der Schleimhäute typisch, der beim Staphylococcal-scalded-skin-syndrome 
                  nicht oder nur sehr diskret in Erscheinung tritt. 
                 
                  Die Behandlung des SSSS besteht in der parenteralen Gabe von 
                  Antibiotika, die gegen Staphylococcus aureus wirksam 
                  sind, wie penicillinasefestes Penicillin (Flucloxacillin) oder 
                  Cefalosporine der Cefazolinoder Cefuroxim-Gruppe. Bei den Staphylokokken 
                  vom Phagentyp II handelt es sich nur selten um multiresistente 
                  Stämme. Bei ausgedehnten Hautläsionen muss gegebenenfalls 
                  der Verlust von Flüssigkeit und Elektrolyten ausgeglichen 
                  werden sowie eine adäquate Lokalbehandlung der betroffenen 
                  Areale durchgeführt werden. Wegen der Blasenbildung an 
                  Druckstellen müssen die Kinder auf Watte gelagert werden. 
                  Dabei ist besonders auf Infektionsschutz zu achten. Eine über 
                  diese medizinischen Maßnahmen hinausgehende intensivmedizinische 
                  Versorgung und Therapie wie bei Brandverletzungen ist überflüssig. 
                  Kortikoide sind natürlich kontraindiziert, weil sie wegen 
                  ihrer immunsupprimierenden Wirkung das Infektionsrisiko erhöhen. 
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