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                  Neurodermitis als Infektionsproblem 
                
                
                Die 
                  atopische Dermatitis (AD) ist eine chronisch entzündliche 
                  Hauterkrankung, die in den zurückliegenden 30 Jahren 
                  einen dramatischen Anstieg der Inzidenz in der westlichen Welt 
                  erfahren hat, sodass mittlerweile nahezu 10% aller Kinder und 
                  etwa 3% aller Erwachsenen in den Industrieländern von dieser 
                  Erkrankung betroffen sind (Abbildung 10). Die Bezeichnung „atopische 
                  Dermatitis“ ist für diese Erkrankung der bevorzugte 
                  Terminus gegenüber der landläufig gebräuchlichen 
                  Bezeichnung Neurodermitis, wiewohl keine andere dermatologische 
                  Erkrankung existiert, für die ein ähnlich großes 
                  Repertoire an verschiedenen Namen geschaffen wurde. Seit 50 
                  Jahren werden topische Corticosteroide und in schweren Fällen 
                  systemische Corticosteroide in der Behandlung eingesetzt. Die 
                  Abwägung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses zur Vermeidung 
                  von Nebenwirkungen und Langzeitschäden und eine Verbesserung 
                  der Lebensqualität der Patienten, die unter einem quälenden 
                  Juckreiz leiden, ist nach wie vor noch nicht gelöst. 
                 
                  Bei Erwachsenen treten meist Allergien gegen Aeroallergene wie 
                  Hausstaub, Pollen oder Tierhaar auf, während Nahrungsmittelallergien 
                  insbesondere Patienten im Säuglings- und Kleinkindalter 
                  betreffen. Am häufigsten bestehen Nahrungsmittelallergien 
                  gegen Schokolade, Milch, Ei, Nüsse, Meeresfisch, Soja und 
                  Weizen. Es handelt sich jedoch  
                  um ein komplexes Krankheitsgeschehen mit individuellem Verlauf, 
                  einem Zusammenspiel aus genetischen Faktoren, immunologischen 
                  Veränderungen und Umwelteinflüssen, wobei auch die 
                  Psyche eine wesentliche Rolle spielt. 
                 
                  Klinisches Bild 
                 
                  Das klinische Spektrum dieser chronischen entzündlichen 
                  Hauterkrankung ist breit gefächert und reicht von einer 
                  Minimalvariante mit gelegentlichem Juckreiz und Hautrötung 
                  bis hin zu schweren erythrodermitischen Formen, bei denen nahezu 
                  die gesamte Körperoberfläche befallen ist. Typisch 
                  ist ein stark juckendes ekzematöses, bisweilen auch lichenifiziertes 
                  Exanthem, das meist im frühen Kindesalter beginnt und bis 
                  ins Erwachsenenalter persistiert. Das klinische Bild wandelt 
                  sich häufig mit dem Lebensalter der Betroffenen: Im Säuglings- 
                  und Kleinkindesalter ist meist der Kopf-Gesichts-Halsbereich 
                  von den ekzematösen Hautveränderungen betroffen, die 
                  durch das ständige Kratzen exkoriiert und superinfiziert 
                  sein können. Im Schulalter dominieren die klassischen Beugeekzeme 
                  in den Ellenbeugen, Handgelenken und Kniekehlen. Als Spätmanifestation 
                  beim Erwachsenen beobachtet man das dyshidosiforme Handekzem 
                  oder die „head and neck“-Dermatitis. 
                 
                  Für die Diagnose steht die Anamnese und das klinische Bild 
                  im Vordergrund sowie mögliche Nahrungsmittelallergien und 
                  -unverträglichkeiten. Laborchemisch kann durch Bestimmung 
                  des Gesamt-Serum IgE, 
                  des Allergen-spezifischen IgE, der Pricktestung und des Atopie-Patch-Testes 
                  eine mögliche Sensibilisierung verifiziert werden, wenn 
                  auch die Interpretation und Bewertung dieser Befunde vor allem 
                  im Säuglingsalter oft schwierig ist. Bei Verdacht auf Kontaktsensibilisierung 
                  kann man durch die Epicutantestung diagnostisch- ätiologische 
                  Hinweise erhalten. 
                 
                  Pathophysiologie 
                 
                  In den letzten Jahren konnten wesentliche Fortschritte bei der 
                  Charakterisierung der genetischen, epidemiologischen und immunologischen 
                  Mechanismen erzielt werden, die dieser komplexen Erkrankung 
                  zu Grunde liegen. Diese neuen Einsichten in die Pathophysiologie 
                  bilden die Grundlage für wesentlich verbesserte therapeutische 
                  Strategien. 
                 
                  Lange Zeit ist man davon ausgegangen, dass Sensibilisierung 
                  und Allergien wesentliche Bestandteile der AD sind. Seit den 
                  Arbeiten von Wüthrich in den 1980er-Jahren ist es klar, 
                  dass bei mindestens 20 bis 30% der Patienten mit AD nach Bestimmung 
                  des Allergen-spezifischen IgE und der Pricktestung keine Sensibilisierung 
                  auf Aero- und Nahrungsmittelallergene nachweisbar ist. Ähnlich 
                  wie bei Asthma bronchiale unterscheidet man daher auch bei der 
                  AD eine mit Allergie und Sensibilisierung (extrinsic AD) und 
                  eine ohne Allergisierung auftretende (intrinsic AD) Variante 
                  der Erkrankung. Verlaufsstudien zeigten, dass Kinder, die meist 
                  zuerst an der intrinsischen, d.h. nicht über Sensibilisierung 
                  initiierten Verlaufsform leiden, im Verlauf der Jahre sensibilisiert 
                  werden und in eine extrinsische Form übergehen. So können 
                  im Verlaufe mittelschwerer bis schwerer Verlaufsformen einer 
                  AD Nahrungsmittelallergene eine Verschlimmerung der Erkrankung 
                  bewirken. Auch Aeroallergene nehmen als Triggerfaktoren der 
                  AD einen hohen Stellenwert ein. 
                 
                  Wichtige Provokationsfaktoren, die schon lange anamnestisch 
                  als Auslöser akuter Schübe identifiziert werden, sind 
                  emotionale Faktoren und Stress. Obwohl bisher der genaue Mechanismus 
                  noch nicht gefunden wurde, konnte man beobachten, dass bestimmte 
                  Neuropeptide, die in den epidermalen Nerven in direkter Nähe 
                  zu den dendritischen Zellen gefunden werden, die Immunantwort 
                  in Richtung einer Th2-Antwort steuern, die die allergisch entzündlichen 
                  Faktoren fördern. Anderseits kann der Wegfall von bestimmten 
                  Neuropeptiden gegenregulatorische antientzündliche Mechanismen 
                  unterbinden. 
                 
                  Der Stress durch ständigen Juckreiz und häufiges nächtliches 
                  Erwachen ist für sich allein bereits als Faktor einer Persistenz 
                  verantwortlich.  
                Eine 
                  positive Familienanamnese auf AD besitzt bei der Einschätzung 
                  des Erkrankungsrisikos einen hohen Stellenwert. Identifizierung 
                  von Kandidatengenen der AD geben einen Hinweis auf eine gemeinsame 
                  genetische Prädisposition für entzündliche Hauterkrankungen. 
                  Dies deutet auch auf eine genetische Determinierung einer fehlerhaften 
                  Kontrolle einer lokalen Entzündungs- und Abwehrreaktion 
                  hin, für die in der Forschung der letzten Jahre überwältigende 
                  Hinweise gefunden wurden. 
                 
                  Neue Erkenntnisse zur Pathophysiologie 
                 
                  Die „Hygiene-Hypothese“ ist eine favorisierte Erklärung 
                  für den rasanten Anstieg der AD. Bestandteile von Bakterien 
                  können über bestimmte Rezeptoren (TOLL und TOLL-like-Receptors) 
                  des angeborenen Immunsystems eine Immuantwort auslösen, 
                  die zur Freisetzung hoher Mengen Th1-Zytokinen (Gamma- Interferon) 
                  führen. Durch die Reduktion systemischer bakterieller und 
                  viraler Infektionen in Kombination mit einer reduzierten Fähigkeit, 
                  die Th2-vermittelten Signale aufzunehmen, kommt es zu einer 
                  Abnahme des protektiven Effekts der Th1-Immunantwort zugunsten 
                  der für atopische Erkrankungen spezifischen Th2-Antwort. 
                 
                  Einer der wesentlichen neuen Erkenntnisse dieser Forschung beruht 
                  darin, dass die lokale Besiedelung der Haut 
                  durch diese immunologischen Änderungen gestört ist 
                  und es zu einer 100 – 1000fach höheren Inokulumdichte 
                  von Mikroorganismen auf der durch den immunologischen Trigger 
                  geschädigten Haut kommt. 
                 
                  Die besondere Anfälligkeit der Patienten mit AD für 
                  bakterielle Superinfektion ist bekannt. Eine der wesentlichen 
                  Gründe dafür ist der auf der Haut nachgewiesene Mangel 
                  an β-Defensinen, die Bestandteil der angeborenen Immunität 
                  sind und für eine effektive Abwehr von bakteriellen und 
                  viralen Mikroorganismen sowie Pilzen verantwortlich zeichnen. 
                  Durch das Defizit an natürlichen antimikrobiellen Abwehrmechanismen, 
                  d.h. der körpereigenen antimikrobiellen Peptide, die die 
                  Besiedelungsdichte der Haut steuern, kommt es zu einer Verschlechterung 
                  und Chronifizierung des Krankheitsverlaufes. 
                 
                  Von großer pathophysiologischer Relevanz sind bei der 
                  AD bakterielle Mikroorganismen, insbesondere Staphylococcus 
                  aureus. Diese Mikroorganismen bilden eine hohe Menge an Enterotoxinen, 
                  die als sog. Superantigene fungieren. Viele Patienten sensibilisieren 
                  sich gegen diese Enterotoxine und produzieren Antigen-spezifische 
                  IgE-Antikörper gegen beispielsweise Enterotoxin A, B, C 
                  und D oder TSST1 (toxic shock syndrome toxin 1). Untersuchungen 
                  zeigen, dass die Menge des gebildeten Allergen-spezifischen 
                  IgE gegen Staphylococcus aureus direkt mit der Krankheitsaktivität 
                  korreliert. Allergen-spezifisches IgE wird auch gegen Pityrosporum 
                  ovale, welcher häufig auf der Haut von Patienten mit 
                  AD nachweisbar ist, sowie Allergen-spezifisches IgE gegen Candida 
                  albicans nachgewiesen. 
                 
                  Diese Superantigene können regulär über Allergen-spezifische 
                  IgE-vermittelte Internalisierung an T-Zellen präsentiert 
                  werden und dort eine Antigen-spezifische T-Zellproliferation 
                  ermöglichen. Außerdem können diese Superantigene 
                  den MHC-II-TZellkomplex überbrücken und bestimmte 
                  T-Zellen auf direktem Wege unabhängig von ihrer Antigenspezifität 
                  in außerordentlich kräftigem Maße stimulieren. 
                 
                  Untersuchungen konnten zudem zeigen, dass diese ubiquitär 
                  vorkommenden Superantigene einen Beitrag zur Steroidresistenz 
                  von AD-Patienten leisten, da sie in der Lage sind, Glukokortikoid-Rezeptoren 
                  so zu verändern, dass diese ihre Bindungsfähigkeit 
                  verlieren. 
                 
                  Eine Autoreaktivität gegenüber IgE wurde seit langem 
                  bei Patienten mit AD vermutet. Inzwischen konnte eine Reihe 
                  von Autoantigenen identifiziert werden, die hauptsächlich 
                  intrazelluläre Proteine darstellen. Zu diesen zählen 
                  humane Antigene, die mit Nahrungsmittel- und Inhalationsantigenen 
                  kreuzreagieren. Diese werden durch heftiges Kratzen freigesetzt 
                  und aktivieren ihrerseits wieder Mastzellen, autoreaktive T-Zellen 
                  und möglicherweise dendritische Zellen. Dies bedeutet, 
                  dass die atopische Dermatitis zuerst bei Säugling und Kleinkind 
                  als nicht allergisches intrinsisches Ekzem beginnt und sich 
                  dann in ein extrinsisches mit exogenen Allergenen einhergehende 
                  Form entwickelt, wobei eine vermehrte Keimbesiedelung per se 
                  oder als sekundäres Allergen eine entscheidende Rolle spielt. 
                 
                  Die Forschung der letzten Jahre liefert den Beweis, dass wie 
                  schon vorher angenommen verschiedene fehlgesteuerte immunologische 
                  Mechanismen für die AD verantwortlich sind. Dies ist nach 
                  den neuen Erkenntnissen allerdings nur der Trigger, der eine 
                  weitergehende immunologische Fehlsteuerung auslöst, bei 
                  der die vermehrte Besiedelung der Haut mit bakteriellen und 
                  viralen Mikroorganismen sowie Pilzen die entscheidende Rolle 
                  spielt und zu akuten Exacerbationen bzw. zur Aufrechterhaltung, 
                  aber auch zur Chronifizierung des Entzündungsprozesses 
                  beiträgt. 
                 
                  Diese Untersuchungen liefern den Beweis, dass für die AD 
                  im Wesentlichen eine Infektionsproblematik 
                  besteht, die vor allem für die Aufrechterhaltung der entzündlichen 
                  Hautveränderungen verantwortlich ist. 
                 
                  Diese Beobachtungen liefern auch die Begründung, warum 
                  durch eine gezielte antimikrobielle Therapie, wie der Anwendung 
                  von lokalen Antibiotika (Fusidinsäure, Mupirocin, Tetrazyklinen) 
                  sowie Antiseptika und in Einzelfällen sogar systemischer 
                  antimikrobieller Behandlung mit Antibiotika oder Fungistatika, 
                  beispielsweise Ketokonazol, eine wesentliche Verbesserung des 
                  klinischen Bildes erzielt werden kann und diese antimikrobielle 
                  Strategie in der Zwischenzeit oft Bestandteil einer erfolgreichen 
                  Therapie wird. 
                 
                  In der Zusammenfassung bez. dieser neuen Erkenntnisse kann man 
                  festhalten: 
                  Im Gegensatz zur früheren Meinung, nach der ausschließlich 
                  Allergenspezifische Mechanismen für die Hautläsionen 
                  bei der AD verantwortlich sind, sind jetzt bakterielle Mikroorganismen 
                  und Pilze vor allem für die Aufrechterhaltung der klinischen 
                  Symptomatik und Progression der Erkrankung, für die Chronifizierung 
                  und für Exacerbartion der AD verantwortlich. Therapeutische 
                  Strategien müssen sich daher in einem wesentlich vermehrten 
                  Maße auf die antimikrobielle Therapie bei der AD konzentrieren. 
                 
                  Therapeutische Maßnahmen 
                 
                  Die Behandlung der AD ist nach wie vor nicht befriedigend gelöst. 
                  Die Verabreichung von topischen Corticosteroiden ist ein Standbein 
                  der AD-Therapie. Die Limitierung der therapeutischen Möglichkeiten 
                  durch lokale und systemische Corticosteroide, die möglichen 
                  Nebenwirkungen dieser Behandlung und die Kosten-Nutzen-Relation 
                  sind aber nach wie vor nicht befriedigend geklärt. 
                 
                  Weitere Therapiemöglichkeiten bestehen in der Behandlung 
                  mit UVA1, PUVA oder UBV oder der Gabe von Immunsuppressiva wie 
                  Cyclosporin A, unter Inkaufnahme der bekannten Nebenwirkungen. 
                 
                  Basierend auf einem Mangel an essenziellen Fettsäuren wie 
                  Gamma-Linolensäure wurde die lokale oder systemische Verabreichung 
                  von z.B. Nachtkerzenöl-Präparaten empfohlen. Die Behandlungsmethode 
                  ist zwar relativ nebenwirkungsarm, der Nachweis des positiven 
                  Effektes konnte jedoch nicht erbracht werden. 
                 
                  Die neuen Erkenntnisse führen zu neuen Behandlungsstrategien, 
                  bei denen topische Antibiotika einen hohen Stellenwert erlangen: 
                  Tacrolimus und Pimecrolimus werden in den letzten Jahren in 
                  zunehmendem Maße als Salben in der Behandlung mit gutem 
                  Erfolg verwendet. Beide Medikamente gehören zur Gruppe 
                  der Makrolid-Antibiotika. Ob der immunmodulatorische Effekt 
                  dieser zur Klasse der Antibiotika gehörenden Medikamente 
                  oder ihre antimikrobielle Wirkung den Ausschlag gibt, bleibt 
                  zu diesem Zeitpunkt noch Spekulation. Der Nutzen in der Praxis 
                  besteht darin, dass eine frühzeitige und konsequente Behandlung 
                  das Auftreten und die Ausbreitung von ekzematösen Hautläsionen 
                  verhindern kann. 
                 
                  Unter diesem Gesichtspunkt kann auch die antimikrobielle „oligodynamische“ 
                  Wirkung von Silberionen gesehen werden, die zu einer wesentlichen 
                  Reduktion der um das bis zu 1000fach gesteigerten Hautflora 
                  bei Patienten mit AD führt. Die antimikrobielle Wirksamkeit 
                  von Silberionen ist seit Jahrhunderten bekannt. Freie Silberionen 
                  besitzen 
                  ein breites antimikrobielles Spektrum gegen Gram-positive und 
                  Gramnegative Mikroorganismen und Pilze. Metallisches Silber 
                  weist eine hervorragende Gewebsverträglichkeit auf. Die 
                  systemische Toxizität ist gering und manifestiert sich 
                  als Argyrose einer harmlosen Braunfärbung der Haut, die 
                  ab einer enteralen Resorption von >2 g auftritt. Die Menge 
                  an Silber, die über eine geschädigte Haut auch bei 
                  Verwendung von großflächigen silberbeschichteten/silberimprägnierten 
                  Textilien aufgenommen wird, liegt auch bei einer Anwendung über 
                  Jahre um 
                  das 1000fache unter diesen Konzentrationen. Die Reduktion der 
                  Hautflora durch silberimprägnierte bzw. silberbeschichtete 
                  Textilien, die weitgehend nebenwirkungsfrei ohne Belastung für 
                  den Patienten angewandt werden kann, kann als echte Bereicherung 
                  des therapeutischen Armentariums verstanden werden. 
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